Luka Müller-Studer, Anwalt und Blockchain-Experte. (Bild: ZVG)

Luka Müller-Studer ist Anwalt und Partner bei der Kanzlei MME. Er betreut vor allem Unternehmen im Technologiebereich mit Fokus auf Blockchain. Luka Müller ist einer der Ersten in der Schweiz, der die Tragweite der neuen Technologie und der Kryptowährungen erfasst und die Entstehung des Crypto Valley zwischen Zug und Zürich von Anfang an begleitet hat.

Wann haben Sie das erste Mal mit Kryptowährungen zu tun gehabt?
Luka Müller: Das war vor sechs, sieben Jahren. Wir mussten eine Abklärung über Bitcoin machen, weil sich eine ausländische Gesellschaft in der Schweiz niederlassen wollte. Ehrlich gesagt, ich verstand damals die Technologie nicht im Detail. Ab 2014 kamen immer mehr Anfragen betreffend Blockchain. Ich habe mich intensiv mit dieser neuen Technologie auseinander gesetzt und bin fasziniert von ihr.

Was genau fasziniert Sie?
Die technologischen Möglichkeiten. Man kann Eigentum und Werte über eine sichere, dezentrale IT-Infrastruktur verschieben, was bisher nicht möglich war. Es gab immer eine zentralisierte Infrastruktur oder Intermediäre, die die Transaktionen überwachten. Das fällt nun weg.

Was bedeutet der Boom der Kryptowährungen, allen voran von Bitcoin?
Zunächst möchte ich eines festhalten: Bitcoin ist keine Währung. Das ist ein komplett falscher Begriff und weckt falsche Assoziationen. Eine reelle Währung wird von einer zentralen Institution herausgegeben, in den meisten Fällen einer Zentral- oder Notenbank. Wäre Bitcoin eine Währung, müsste man Guthaben ebenso erfassen können wie Schulden. Hierzu ein kleines Gedankenexperiment: Wenn Sie beispielsweise Schulden von 50’000 Franken, umgerechnet in Bitcoins, haben, und der Wert des Bitcoin verzehnfacht sich – verzehnfachen sich dann auch die Schulden auf 500’000 Franken? Eben nicht. Deshalb ist Bitcoin keine Währung. Es gibt keine Gegenpartei.

Was sind dann Bitcoin, Ethereum & Co.?
Das sind digitale Informationseinheiten oder Token, mit denen man sich ein Nutzungsrecht an einer Software erwirbt. Wir haben es also mit Technologie zu tun, mit einem Protokoll oder einer Applikation. Ein Bitcoin ist weder Geld noch Gold. Deshalb wäre es wünschenswert, man würde die Diskussion um die sogenannten Kryptowährungen wieder vermehrt technisch führen und nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer neuen Anlageklasse.

Weshalb erleben wir gegenwärtig einen derartigen Boom?
Zu Beginn haben ausschliesslich Krypto-Enthusiasten mitgemacht. Sie waren einerseits an der neuen Blockchain-Technologie interessiert und wollten anderseits mit dem Erwerb von Token deren Weiterentwicklung ermöglichen und daran partizipieren. Im Sommer 2017 sind Investoren und Spekulanten eingestiegen, die den Preis der Token, namentlich der Bitcoins, in die Höhe treiben. Deshalb haben wir es mit diesem unkontrollierbaren Boom zu tun. Ich halte nicht viel von dieser Entwicklung.

Kann man den Bitcoin-Boom auch als Misstrauen gegenüber der alten Finanz- und Bankenwelt verstehen?
Ja, absolut. Alle Blockchain-Entwickler sind Nerds, sehr intelligente Mathematiker, Programmierer, Physiker. Sie haben vor zehn Jahren, in den Jahren 2007 und 2008, politisch und wirtschaftlich zu denken begonnen, also mitten in der Banken- und Finanzkrise. Sie haben erlebt, wie Institutionen zusammenkrachten und der Geldkreislauf nur dank milliardenschweren Interventionen der Zentralbanken und Staaten am Leben blieb. Für diese Generation war und ist klar, dass sich das alte System überlebt hat, dass es ein neues Paradigma, eine neue Technologie braucht, die sicherer und transparenter ist und die Konsumenten schützt. Die Krise war der ideale Nährboden für dieses neue Denken. Das wird sich auch nicht mehr ändern.

Welches Potential sehen Sie?
Wie bei jeder neuen Technologie wird es Sieger und Verlierer geben. Die Blockchain-Technologie wird sich 100 Prozent durchsetzen, auch wenn die Bitcoin-Spekulationsblase irgendwann mal platzen sollte. Meine Hoffnung ist, dass tatsächlich die Konsumenten von Blockchain profitieren werden, weil die Transaktionen sicherer, transparenter und günstiger werden.

Wo sehen Sie die grösste Gefahr?
Dass Applikationen oder Protokolle nicht funktionieren oder dass sie gehackt werden. Das ist bislang noch nicht passiert. Wenn Bitcoins gestohlen wurden, dann wurde ein Smartphone oder eine Serverinfrastruktur gehackt und der Sicherheitsschlüssel, der sogenannte Private Key, kopiert.

Wieso hat sich ausgerechnet die Schweiz zu einem Hotspot für Kryptowährungen und Blockchain entwickelt?
Zum einen haben sich zwischen Zug und Zürich Entwickler und Unternehmer angesiedelt, die andere Entwickler und Unternehmer anziehen. Zum anderen profitieren sie vom schweizerischen Rechtssystem. Dieses basiert auf Rechtsicherheit und einem liberalen Ansatz. Man ist in der Schweiz grundsätzlich offen für Neues und im Umgang mit Herausforderungen sehr pragmatisch.

Wird das so bleiben?
Ich hoffe auf eine positive Auseinandersetzung mit Blockchain und den Kryptowährungen. Da es sich um neue Technologien und Phänomene handelt, die man noch nicht kennt, plädiere ich für ein unaufgeregtes Analysieren. Deshalb ist es mir wichtig, dass man den Bitcoin-Hype primär von der technischen Seite anschaut und weniger von der spekulativen.

Was sollte getan werden, damit das Crypto Valley auch in Zukunft seine globale Stellung halten kann?
Die Bereitschaft aller Beteiligter, auch der Politik und der Regulatoren, ist da, zu diesem neuen Ökosystem Sorge zu tragen. In den nächsten Monaten werden eine Reihe neuer Blockchain-Applikationen auf den Markt kommen, die an die alte Welt anknüpfen und daher leichter verständlich sind. Wichtig ist jedoch, dass es auch in Zukunft viele verrückte und spannende Pionier- und Pilotprojekte geben wird, damit viele Entwickler und Programmierer in der Schweiz bleiben.

Oliver Heiler und Tina Roth erklären im Artikel «Blockchain und das Vertrauen» alles, was Sie über die revolutionäre Technologie wissen müssen.

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