«Das ist ein Angriff auf die Schweizer Demokratie»
Die Luzerner Politologin und Netzaktivistin Adrienne Fichter über politische Werbung im Netz, digitale Demokratie powered by Facebook und Trends.
Die Luzerner Politologin und Netzaktivistin Adrienne Fichter über politische Werbung im Netz, digitale Demokratie powered by Facebook und Trends.
Adrienne Fichter, Politologin und Netzaktivistin. (Bild: ZVG)
Was sind PolitikAds?
Adrienne Fichter: PolitikAds sind gesponserte Werbeanzeigen von Parteien auf Facebook oder Twitter, die individuell auf den Empfänger zugeschnitten sind.
Weshalb haben Sie die Aktion #PolitikAds geschaffen?
Die Idee kam mir schon während der Arbeit an meinem Buch «Smartphone-Demokratie», das im Herbst erscheinen wird. Die gezielte, individualisierte Schaltung politischer Werbeanzeigen ist in der Schweiz noch kein grosses Thema – in den USA und in Grossbritannien hingegen schon. Facebook sieht momentan keinen Bedarf, Transparenz bezüglich solcher Schaltungen zu schaffen. Ich persönlich habe aber ein Problem damit, dass PolitikAds nur digital existieren und ihre Publikation nicht dokumentiert wird.
Können Sie das näher erläutern?
Digitale politische Werbeanzeigen werden laufend an die Zielgruppe angepasst. Jeder Nutzer sieht auf Facebook oder Twitter etwas anderes. Für die Parteien ist es natürlich grossartig, wenn sie eine zielgruppenspezifische Botschaft platzieren können. Das Problem: Medienschaffende sowie Forscherinnen und Forscher können diese personalisierten Anzeigen nicht nachvollziehen. Weder Facebook noch die Parteien sehen sich in der Pflicht, digitale politische Botschaften zu dokumentieren. Dagegen wehre ich mich. Erhalte ich eine politische Werbeanzeige, speichere ich die Botschaft mittels Screenshot und verbreite sie unter dem Hashtag #PolitikAds im Netz.
Sie postulieren, dass Parteien offenlegen, wie viel Geld sie für Werbung ausgeben, wo sie werben und welche Zielgruppen sie anvisieren. Für Social-Media-Plattformen wollen Sie für politische Werbung sogar besondere Transparenzregeln aufstellen. Warum das? Welche politische Idee steckt hinter dieser Transparenzregelung?
Ich wünsche mir eine umfassende Transparenz. Facebook bietet seine Werbetools allen an – dem Coiffeur ebenso wie dem Bäcker und den Parteien. Wir müssen jetzt eine Debatte darüber führen, ob die Spielregeln, die für den Coiffeur und den Bäcker gelten, auch für die Politik gelten sollen. In der Schweiz sind wir darauf angewiesen, dass alle dieselben Informationen erhalten. Solange Facebook und die Parteien ihre Politik-Kampagnen nicht dokumentieren, müssen wir dagegen ankämpfen. Ich fordere die Parteien deshalb auf, ihre Werbeanzeigen inhaltlich transparent zu machen und offenzulegen, wie viel Geld sie für Werbung ausgeben. Dann haben Medienschaffende und Wissenschaftler eine Grundlage, Argumente miteinander vergleichen zu können.
Welche Reaktionen haben Sie bis jetzt auf Ihre Aktion erhalten?
Die Reaktionen seitens der digitalen Netzgemeinschaft waren durchwegs positiv, insbesondere jene aus Deutschland. In der Schweiz habe ich aber auch viele negative Rückmeldungen bekommen – von allen Parteien ausser den Grün-Liberalen. Ich wurde von Vertretern von Links und Rechts angegiftet. Ich würde mich auf ein falsches, nicht relevantes Thema stürzen, so der Vorwurf. Namhafte Politologen gaben mir in der Sache zwar Recht, meinten jedoch, dass das Thema von der Wirkung her nicht bedeutsam sei. Ich will gar keine Diskussion über die Wirkung politischer Werbeanzeigen führen, sondern ich möchte aufzeigen, dass Facebook die digitale Demokratie beeinflusst. Das erachte ich als Angriff auf die Schweizer Demokratie. Die Frage stellt sich: Wollen wir etwas ändern an diesem Zustand und selber neue Spielregeln schaffen?
Haben Sie die Reaktionen erstaunt?
Ja, dass sich die Linken, die sich ebenfalls für mehr Transparenz einsetzen, von mir angegriffen fühlten, hat mich sehr erstaunt. Sie sagten mir, ich solle bei der Transparenz von Parteispenden Druck machen und nicht bei zielgruppenspezifischer Werbung.
Gab es auch Bestätigung?
In Deutschland und Österreich habe ich viel medialen Zuspruch erhalten. Die Öffentlichkeit ist in diesen Ländern sensibilisierter als in der Schweiz, wo das Bewusstsein für dieses Thema bei vielen Politakteuren noch nicht vorhanden ist. Und dies obwohl die US-Präsidentschaftswahlen im vergangenen September gezeigt haben, dass Donald Trump in seinem Wahlkampf massiv auf Facebook-Werbeanzeigen gesetzt hatte.
Für (politische) Werbung im digitalen Raum müssen also andere Regeln aufgestellt werden als im analogen Raum?
Ja, beide Räume sollen sich auf Augenhöhe begegnen. Die analoge Werbung ist dokumentiert – ich sehe zum Beispiel ein aufgehängtes Wahlplakat. Im digitalen Raum dagegen ist nichts dokumentiert. Es gibt dort keine Rechenschaftspflicht.
Auf Twitter fragen Sie warnend: «Wie lange möchten wir noch Digitale Demokratie powered by Facebook»? Steuern Facebook und Co. bereits die Demokratie oder sind das einfach nur neue Kanäle neben bestehenden?
Das muss man länderspezifisch betrachten. Der politische Diskurs findet auf Facebook statt. Das hängt damit zusammen, dass Facebook in den vergangenen Jahren enorm in Medieninhalte investiert hat. Die Medien wurden vom Facebook News-Feed algorithmisch bevorzugt. Dadurch konnten beispielsweise die NZZ, der «Tages-Anzeiger», «Spiegel Online» oder die «New York Times» auf Facebook extrem viele Klicks generieren. Dies führte dazu, dass immer mehr Menschen Medienberichte auf Facebook lesen und in der Community besprechen. Hinzu kommt, dass viele nicht wissen, dass Facebook Experimente mit der Demokratie macht. Bei den US-Kongresswahlen 2010 wurde im Facebook-Profil einer Gruppe von Probanden ein Button aufgeschaltet, der auf die Wahlen hinwies. Bei einer anderen Gruppe von Probanden erschien der gleiche Button mit der zusätzlichen Angabe über das Klickverhalten der eigenen Freunde. Die Idee dahinter: Facebook wollte sozialpsychologischen Gruppendruck erzeugen. Facebook behauptete hinterher, auf diese Weise 340’000 zusätzliche Wahlstimmen generiert zu haben. Dieses Experiment ist frappant und wahlrelevant. Facebook will mit internen Forschungsexperimenten herausfinden, wieviel Macht das Unternehmen hat – gänzlich ohne Transparenz. Twitter funktioniert anders. Es hat eine offene Schnittstelle. Deshalb können Wissenschaftler die Daten von Twitter absaugen und vermessen. Facebook hingegen ist eine Black Box. Deshalb frage ich mich: Wollen wir nicht selber anfangen, die digitale Demokratie zu überdenken? Gerade in einem Land wie der Schweiz, wo es so viele Abstimmungen gibt. Wollen wir nicht ein öffentlich finanziertes Netzwerk schaffen, das politische Themen verhandelt? Frei nach dem Motto: «Transparenz statt Filter-Algorithmus à la Facebook».
In Anlehnung an Ihr neues Buch (NZZ Libro): Was ist an der «Smartphone-Demokratie» anders als in der analogen Demokratie?
Die eingangs geschilderte Personalisierung. Der Newsfeed-Algorithmus bei Facebook bestätigt mich in meiner Meinung und in meinem Weltbild verstärkter als dies bei der analogen Demokratie der Fall ist, wo ich mit Gleichgesinnten am Tisch sitze. Eines möchte ich aber festhalten: Facebook hat in Bezug auf die Demokratie viel Positives bewirkt, zum Beispiel das Organisieren von Protesten. Das ist wertvoll. Wenn es aber um den Diskurs geht – was sagt dieser und jener und wie wollen wir miteinander interagieren – unterscheidet sich die «Smartphone-Demokratie» deutlich von der analogen Demokratie, weil im Netz personalisierter Text verschickt wird, den andere nicht zu sehen bekommen.
Wie entwickelt sich die digitale Demokratie und wie ist die Schweiz aufgestellt?
Die digitale Demokratie ist momentan powered by Facebook. In der Schweiz gibt es rund vier Millionen Facebook-User – das ist fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung. Die traditionellen Medien sind aber nach wie vor einflussreich. Die Facebook-Community wird sich ohne Frage vergrössern. Ich möchte eine digitale Demokratie «Swiss made» propagieren. Wir müssen uns überlegen, wie wir selber neue Technologien, neue Software und neue Netzwerke lancieren, die gewissen ethischen Regeln verpflichtet und zugeschnitten sind auf unsere direkte Demokratie. Ich frage mich: Weshalb haben wir diesen Prozess verpasst? Punkto digitaler Demokratie ist die Schweiz ein Entwicklungsland.
Welche Länder machen es gegenwärtig besonders gut?
Ich sehe sehr viele gute Aktionen und Netzwerke in Frankreich, Spanien und Portugal. In diesen zentralistisch geführten Ländern können Bürgerinnen und Bürger über einen grossen Teil der kommunalen Ausgaben debattieren – sowohl online als auch offline. In Paris, Madrid und Barcelona diskutieren die Bürgermeisterinnen mit den Einwohnern einmal pro Monat über Lösungen für die zehn dringendsten Probleme. Die Vorschläge werden dann an die lokale Regierung überwiesen und umgesetzt. So etwas gibt es in der Schweiz nicht.
Welche Länder machen es gegenwärtig schlecht?
Die autoritären Länder. In China nimmt die Regierung mit Social-Media-Monitoring starken Einfluss auf das Verhalten der Bevölkerung in den sozialen Netzwerken. Es ist eine subtile Zensur. Allerdings werden dank Social Media auch Reformen angestossen – so zum Beispiel im Bereich Umweltschutz.
Welche Social-Media-Kanäle nutzen Sie persönlich am häufigsten?
Twitter und zunehmend LinkedIn. Twitter ist ein spannendes und öffentliches Netzwerk. Auf diesem Kanal habe ich in der Schweiz sehr viele Leute kennengelernt, die ich sonst nicht getroffen hätte. Auf Twitter folgt man sich gegenseitig aus Interesse und nicht unbedingt aus politischem Antrieb. Bei Facebook ist das Userverhalten anders. Meistens ergibt sich zuerst eine analoge Freundschaft, dann setzt man diese auf Facebook fort. LinkedIn wird vom Inhalt her zunehmend relevanter. Leider benutze ich häufig auch Facebook (schmunzelt).
Was sind die Trends?
Wir verbringen jetzt schon über zwei Stunden pro Tag im Öko-System Facebook. Dass ein Konzern meine Zeit derart monopolisiert, bereitet mir Sorgen. Ich möchte Facebook dafür nicht beschuldigen. Es liegt an uns, diesen Zustand zu ändern. Wir müssen unseren Konsum hinterfragen.
Gespräch: Thomas Wälti
Die Luzerner Politologin und Netzaktivistin Adrienne Fichter, Jahrgang 1984, arbeitet als freie Digitaljournalistin für swissinfo (#DearDemocracy), NZZ, Swisscom und die Agentur Liip. Ab Herbst 2017 wird sie an der Fachhochschule St. Gallen die Leitung «Digital Public Communication and Services» übernehmen. Fichter ist eine leidenschaftliche Bloggerin und Twitterin. Bis 2016 war Fichter als Head of Social Media bei der NZZ tätig. Sie ist Herausgeberin des Buches «Smartphone-Demokratie», das im Herbst dieses Jahres bei NZZ Libro erscheinen wird. Co-Autor dieses Werkes ist unter anderem der renommierte deutsche Politik-Berater Martin Fuchs.