«Wir dürften bald einen Frauenanteil von 35 Prozent erreichen»

Die Unternehmerin Eva Jaisli produziert Werkzeuge im Emmental. Ihre Firma PB Swiss Tools trotzt dem starken Franken mit Innovation, Automatisierung und konsequenter Frauenförderung.

Wie sind Sie Chefin des Emmentaler Traditionsunternehmens PB Swiss Tools geworden? 
Ich arbeitete an der Berner Fachhochschule als Dozentin und war in der Schulleitung mitverantwortlich für die Einführung des Bologna-Modells. Zu diesem Zeitpunkt übernahm mein Mann als Mitglied der Eigentümerfamilie das Unternehmen in vierter Generation. Wir entschieden uns, das Management-Buyout in gemeinsamer Verantwortung zu vollziehen. Das war für mich der ideale Zeitpunkt, Führungsverantwortung in der Firma zu übernehmen.

Was hiess das konkret?
Wir haben das Unternehmen, das seit 1878 existiert, analysiert, die Strategie festgelegt und kamen dabei zum Schluss, dass ich auf Grund meiner Qualifikation die Rolle des CEO übernehmen würde und mein Mann jene des CTO, also des technischen Verantwortlichen. Er ist Maschineningenieur, ich habe mich auf dem zweiten Bildungsweg betriebswirtschaftlich weitergebildet, so dass die Rollenaufteilung klar war.

Es ist nicht allen gegeben, von einem Tag auf den anderen eine Firma zu führen.
Meiner Meinung nach sind zwei Faktoren ausschlaggebend: Zum einen der Rucksack, den man mitbringt. Zum anderen der Wille und der Glaube an das Unternehmen, an die Strategie und Vision, dass man seine Fähigkeiten sinnvoll und sinnstiftend einbringen kann.

Wie stark hat Sie Ihr Elternhaus geprägt?
Ich bin selber in einer KMU-Familie aufgewachsen. Am Familientisch wurde viel über das Unternehmen diskutiert. Ich war von Kindesbeinen an in die Entwicklung der Firma involviert, kannte Mitarbeitende und Kunden und wurde automatisch Teil des Unternehmens. Deshalb war es schon immer eine Option, Unternehmerin zu werden. Als sich dann die Chance mit PB Swiss Tools ergab, musste ich nicht lange überlegen.

Sie sind eine der wenigen Unternehmerinnen und gelten nicht nur im beschaulichen Emmental, sondern auch in der Schweiz als Vorbild. Sind Sie sich dieser Rolle bewusst?
Als CEO und Miteigentümerin bin ich schon eine Besonderheit (lacht). Zum einen gibt es leider noch immer zu wenig Frauen, die Firmenchefinnen sind, zum anderen sind Frauen in der technischen und besonders in der Werkzeugwelt nach wie vor stark untervertreten. Allerdings ist das Verständnis stark im Wandel begriffen. Es geht nicht nur um das Verhältnis Mann-Frau, sondern ganz allgemein um die Diversität, um das Zusammenarbeiten von verschiedenen Generationen und unterschiedlich Qualifizierten. Man versteht immer besser, und zwar unabhängig von der Branche, dass man erfolgreicher ist und bessere unternehmerische Arbeit leisten kann, wenn man Wissen und die Erfahrung zusammenlegt. Dafür sind wir im Emmental prädestiniert.

Inwiefern?
Es gibt bei uns viele Pioniere wie die Käser, die nicht nur den Emmentaler kreiert haben. Sie haben ihn auch erfolgreich exportiert und eine Weltmarke geschaffen. In den letzten Jahrzehnten ist in der Landwirtschaft sehr viel Kreatives und Neues entstanden, weil den Bauern bewusst ist, dass sie von der Milch- und Käsewirtschaft allein nicht leben können. Die Kreativität entsteht sehr häufig in der Familie oder der Nachbarschaft. Das ist ganz wichtig, denn unsere Region besteht aus dem Emmental und vielen kleinen Tälern, die nur mit Innovationen überleben können. Wenn die Menschen zusammenarbeiten, ihre Kompetenzen, Erfahrungen und das Wissen poolen, entstehen neue Ideen, Jobs und letztlich Wohlstand.

Wie sind Sie in ihre Rolle als CEO hineingewachsen?
Ich vertrete eine Firma, die sich im Laufe der Jahrzehnte erfolgreich entwickelt hat, primär durch technische Kompetenzen, kontinuierliche Innovation und Qualität. Doch die Globalisierung des Werkzeugmarktes verlangt immer mehr, dass wir die Kommunikation in einem weiteren Verständnis fassen. Es ist heute alles andere als selbstverständlich, Werkzeuge aus dem Emmental in neue Märkte zu exportieren. Die unverwechselbare Qualität und Innovation müssen wir viel stärker in Einklang bringen mit den spezifischen Kunden-Anliegen und den neuen Märkten. Das war eine der grossen Erkenntnisse, als mein Mann und ich vor bald 20 Jahren das Unternehmen übernommen haben – und für die Firma selber ein Perspektivenwechsel.

Wie haben Sie die unternehmerische Perspektive geändert?
Mir war von Anfang an wichtig, dass ich von den Mitarbeitenden akzeptiert wurde. Vom ersten Tag an habe ich sie, ihr Wissen und die Erfahrung jedes einzelnen eingebunden und vermittelt, dass wir zusammen die Herausforderungen angehen. Teilen wir unseren Wissensschatz, dann werden wir noch erfolgreicher und können uns weiterentwickeln. Wir hatten relativ schnell ein gutes Einvernehmen und Vertrauen ineinander. Daraus ist unser Motto entstanden «gut sein, besser werden». Wir haben gemeinsam definiert, was «besser werden» heisst. Als erstes haben wir «Tage der offenen Tür» organisiert und zu diesen Events die gesamte Bevölkerung, unsere Kunden und Lieferanten eingeladen. Das war 1997.

Ein riesiger Event.
Ja, er dauerte eine Woche. Es hat sich gelohnt. Wir machten sichtbar, wer wir sind, was wir können, wohin wir wollen und wie wir mit den verschiedenen Zielgruppen zusammenarbeiten und kommunizieren. Dieser Anlass schaffte auf allen Seiten viel Goodwill, löste grossen Schub aus und positionierte uns national wie international.

Sie sind in einem hochkompetitiven globalen Umfeld tätig, mit vielen Billiganbietern. PB Swiss Tools ist der einzige Schweizer Werkzeughersteller, der noch in der Schweiz produziert. Wie ist das überhaupt möglich?
Wir sind ein KMU von bescheidener Grösse, das Weltkonzernen die Stirn bieten muss. Deshalb sind zielführende und innovative Veränderungen, aber auch Kontinuität in Bezug auf Bewährtes wie das Qualitätsdenken so zentral. Da dürfen wir keine Abstriche machen. Wir sind darum diesbezüglich absolut kompromisslos. Gleichzeitig müssen wir agil und mobil bleiben und Opportunitäten wahrnehmen, sobald sie sich eröffnen. Drittens müssen wir die Signale und Rückmeldungen unserer Kunden und Lieferanten verstehen und auf sie eingehen. Wir suchen die Lösungen mit den Beteiligten, indem wir Varianten erforschen und entwickeln, um noch besser zu werden. Nur so können wir unsere Nischenposition verteidigen und ausbauen.

Wie viele Prozent des Umsatzes geben Sie für Forschung und Entwicklung aus?
Wir geben einen Fünftel für Erneuerungen und Innovationen aus. Dazu gehört auch die Schulung des Personals, die Weiterentwicklung der Technologie, Prozesse und Infrastruktur.

Das ist viel.
Ja. Aber nur dank dieser Investitionen konnten wir neue Geschäftsfelder entwickeln und in die Medizinaltechnik investieren – ein wichtiger Meilenstein der letzten Jahre.

Globalisierung, Kostendruck, starker Franken – und dennoch produzieren Sie nach wie vor in der Schweiz. Weshalb?
Wir sind erfolgreich positioniert, weil wir schon immer in nachhaltige Entwicklung, Innovation und Automatisierung investiert haben. PB Swiss Tools hat in den 1980er-Jahren als eine der ersten Schweizer Industriefirmen die Industrieroboter eingeführt. Wir sind derzeit dabei, kollaborative Roboter einzuführen, die unseren Mitarbeitern in die Hand arbeiten. Die konsequente und kontinuierliche Automatisierung ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, gerade auch für die nächsten Jahre. Denn wir wollen weiterhin in der Schweiz produzieren und unseren Werkplatz fördern.

Die Automatisierung ist das eine, das nötige Fachpersonal das andere. Wie gelingt es Ihnen, die Männer und Frauen nach Wasen ins Emmental zu locken?
Wir haben national und international ein positives Image erlangt, das Interessen weckt. Wenn wir eine Stelle ausschreiben, haben wir genügend gute Bewerbungen. Es gibt Mitarbeitende, die eine lange Reisezeit in Kauf nehmen, um bei uns zu arbeiten, andere ziehen wegen der Lebensqualität mit ihrer Familie ins Emmental.

Gleichzeitig gelingt es Ihnen, immer mehr Frauen zu erreichen. Rund ein Drittel der Belegschaft ist weiblich, und zwar auf allen hierarchischen Stufen. Wie schaffen Sie das?
Wir dürften schon bald einen Frauenanteil von 35 Prozent erreichen. Für mich ist das Thema Diversität ganz klar Chefsache. Das umfasst die Weiterentwicklung des Personals ebenso wie die Neurekrutierung. Jenen Persönlichkeiten, die Potenzial haben und sich weiterentwickeln wollen, bieten wir entsprechende Möglichkeiten. In meinem ersten Beruf war ich Lehrerin. Weitere Optionen haben sich mit Unterstützung von Vorgesetzten eröffnet. Deshalb ist es mir ein Anliegen, Menschen Mut zu machen und sie entlang ihres Potenzials für neue Aufgaben zu befähigen, insbesondere in Führungsteams. Eine für Frauen besonders wichtige Führungsaufgabe, vor allem wenn es darum geht, ihre Fähigkeiten auszuloten und weiterzuentwickeln.

Hat das damit zu tun, dass Sie selber eine Chefin sind?
Ich denke schon. Dadurch fällt es mir wohl leichter, Frauen, aber auch Männer in der eigenen persönlichen und beruflichen Entwicklung zu fördern und ihnen ihre Fähigkeiten und ihre Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Kommt hinzu, dass ich absolut davon überzeugt bin, dass Diversität ein strategischer Erfolgsfaktor ist.

Davon wird zwar viel gesprochen, doch zahlreiche Firmen haben Mühe damit, Diversität konkret umzusetzen. Warum ist das so?
Diversität muss Teil der Führungskultur sein, der CEO muss bedingungslos dahinter stehen, und es bedingt Investitionen. Offenbar sind noch nicht alle Firmen bereit, diesen Schritt zu gehen. Wir ermöglichen bei PB Swiss Tools Frauen und Männern den Zugang zu Aus- und Weiterbildung sowie zu Coaching. Dazu braucht es Zielvorgaben, einen klaren Willen und Kontinuität. Lippenbekenntnisse funktionieren nicht. Ausserdem haben wissenschaftlich Studien längst bewiesen, dass gelebte Diversität den Wert selbst börsenkotierter Firmen nachweislich steigert.

Und gleichwohl wird Ihr Beispiel zu wenig kopiert. Weshalb?
Wahrscheinlich bin ich als Frau glaubwürdiger, weil ich vorlebe, was ich als Ziel definiere. Aber es gibt auch Männer, die sich für das Thema Diversität stark exponieren mit ganz konkreten Massnahmen – zum Beispiel der Unternehmer und Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt oder Swissmem-Präsident Hans Hess. Solche Männer brauchen wir, die sich öffentlich für das Thema engagieren, Frauen Chancen eröffnen, entsprechende Rahmenbedingungen und Voraussetzungen schaffen.

Braucht es eine Frauenquote in Unternehmen, damit diese Bewusstseinsänderung stattfindet?
Es gibt verschiedene Arten von Vorgaben. Das Wort «Quote» ist unterdessen derart negativ besetzt, dass es schwierig ist, eine konstruktive Diskussion zu führen. Ich bin davon überzeugt, dass wir Rahmenbedingungen brauchen, die den Druck auf Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft erhöhen.

Ohne Druck passiert also nichts.
Zu wenig. Die Botschaft des Bundesrats ist eine Art Vision, ein gangbarer Weg. Sie eröffnet eine Perspektive für mehr Diversität: 30 Prozent Frauen in Verwaltungsräten und 20 Prozent in den Geschäftsleitungen. Das ist eine Diskussionsgrundlage, an der man sich in der Politik, aber vor allem in der Wirtschaft und Verwaltung orientieren kann. Wir werden bald hören, was das Parlament mit diesem Vorschlag macht. Ein hoher Anteil an Frauen in der Erwerbsarbeit alleine genügt nicht. Ihr Anteil in Führungsgremien und in Entscheidungspositionen muss sich aus betriebs- und volkswirtschaftlichen Gründen zwingend erhöhen. Was nicht geschehen darf, ist, dass sich die Schweiz in der Frauenfrage international ins Abseits manövriert. Ich bin zu 100 Prozent von der Wirkung von Diversität überzeugt: Für die Unternehmen und die Gesellschaft entstehen daraus reelle Mehrwerte.

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