«Vergesst das Banken-Bashing für fünf Minuten»
Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz über Fehler der Banken, Transparenz und wieso die Schweiz stolz auf die Finanzbranche sein sollte.
Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz über Fehler der Banken, Transparenz und wieso die Schweiz stolz auf die Finanzbranche sein sollte.
Pierin Vincenz, Präsident des Versicherers Helvetia.
Sie waren jahrzehntelang Topbanker und haben hautnah miterlebt, wie das Image der Branche gelitten hat. Würden Sie jetzt, da Sie Verwaltungsratspräsident des Versicherers Helvetia sind, nochmals die gleiche Karriere einschlagen?
Pierin Vincenz: Ja, denn die Bankenwelt ist nach wie vor faszinierend. Sie ist sowohl regional verankert als auch global ausgerichtet. Ich empfinde es als grosses Privileg, dass ich den Wandel der Branche in den letzten 15 Jahren erleben und mitgestalten durfte.
Sozusagen als Prügelknabe.
Nein, überhaupt nicht. Natürlich verlief der Wandel von der totalen Diskretion der Banken hin zur Transparenz nicht immer ganz schmerzfrei…
… und auch nicht ganz freiwillig.
Die Diskretion und das Bankgeheimnis zogen einige negative Entwicklungen mit sich wie Steuerhinterziehung oder Salärexzesse. Auf der anderen Seite gab es auch stabilisierende Faktoren: Das System hielt der Kritik und der Regulierungswelle stand. Die Kunden werden auf lokaler Ebene nach wie vor sehr gut beraten.
Gleichwohl sind die Banken genauso wie das Militär heute nicht mehr die heiligen Kühe wie noch vor zehn Jahren.
Als die Fehler und Verfehlungen bekannt wurden, hat die Öffentlichkeit das Bankensystem vermehrt hinterfragt. Gleichzeitig wurde den Leuten aber auch bewusst, dass die Banken trotz aller Komplexität letztlich alltägliche Dienstleistungen erbringen – so wie der Elektriker und der Bäcker im Dorf. Der Zahlungsverkehr oder die Kreditvergabe, die für Privatpersonen wie für Unternehmen existenziell sind, funktionieren wie eh und je.
Wurde das Swiss Banking als Folge der Finanzkrise auf den Boden der Realität zurückgeholt?
Absolut. Viele Banker mussten lernen zu erklären, was sie genau machen. Das ist gut so. Die grossen globalen Transaktionen mit komplexen Finanzierungsstrukturen und schwer verständlichen Produkten sowie das sogenannte Investment Banking wurden eine Zeit lang überhöht, während das lokale Banking geringgeschätzt wurde. Das hat sich heute ausgeglichen. Mittlerweile werden beide Bereiche als zentrale, unverzichtbare Pfeiler des Bankings angesehen.
Wie ist es dazu gekommen, dass sich das Swiss Banking sozusagen neu erfinden musste?
Die Zeit des Bankgeheimnisses und der Intransparenz war für die Banken natürlich komfortabel: Die Gebührenstrukturen waren undurchsichtig, Schwarzgeld und Retrozessionen wurden oft nicht hinterfragt. Parallel dazu nahmen die Gehälter der Banker zu. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Nach Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise folgte dann der Kater.
Sie sprechen von fehlender Transparenz und Bodenhaftung. Waren das die Auslöser für den Wandel in der Finanzbranche?
Ich glaube, es hat ganz allgemein ein Wertewandel stattgefunden, der viele andere Branchen auch erfasste. Plötzlich waren alle mit ähnlichen Fragen konfrontiert: Was mache ich ganz genau? Wie erbringe ich meine Leistungen? Wie erkläre ich mich meinen Kunden, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit? Auch die Banken standen auf einmal stärker im Fokus der Öffentlichkeit, der Regulatoren, der Politiker und der Konsumentenschützer, wie dies übrigens bei der Pharmabranche schon längst der Fall ist. Daran muss sich die Finanzbranche erst gewöhnen. Bis anhin war der Banker der privilegierteste Schwiegersohn – an seiner Reputation wird er in Zukunft härter arbeiten müssen.
Welches sind die grossen Herausforderungen für den Finanzplatz Schweiz?
Er wird weiter in Konkurrenz stehen mit den globalen Finanzplätzen. Deshalb ist es zentral, dass die Schweiz ihre grossen Trümpfe, die Stabilität und die Rechtssicherheit, nicht aus der Hand gibt, sondern vielmehr stärkt. Ebenso müssen die Finanzhäuser die Qualität der Dienstleistungen hochhalten. Geld wird auch in Zukunft sichere und gut betreute Häfen suchen, und da gehört die Schweiz dazu. Deshalb müssen wir uns hier weiterentwickeln.
Wie konkret?
Die Anliegen der Banken müssen verstärkt in die Öffentlichkeit und in die Politik gebracht und verankert werden. Die Banken müssen an der Diskussion und der Debatte teilnehmen. Es geht darum, den Finanzplatz mit guten Rahmenbedingungen zu stärken und nicht zu schwächen. Singapur ist diesbezüglich ein Beispiel, wie die Banken und die Politik zusammenarbeiten, und dies mit sichtbarem Erfolg. Auch wenn ich mir natürlich bewusst bin, dass unsere direkte Demokratie und die beinahe monarchisch anmutenden Verhältnisse im Stadtstaat einen unterschiedlichen Rahmen bilden.
Ein Nachteil für die Schweiz?
Unser Finanzplatz ist nur ein Teil der schweizerischen Volkswirtschaft. Daneben gibt es auch den Werkplatz. Deshalb kann die Schweizer Politik nicht nur eine Finanzplatzstrategie fahren wie Singapur oder Dubai.
Also doch ein Nachteil?
Als Schweizer erachte ich die breit aufgestellte Volkswirtschaft als Riesenvorteil. Wichtiger erscheint mir aber, dass die Schweizer das Banken-Bashing einmal für fünf Minuten vergessen und sich bewusst werden, was die weltweit tätigen Konzerne für unser Land leisten. Wir haben nicht nur UBS und Credit Suisse, die aus der Schweiz heraus tätig sind, sondern auch Roche, Novartis, Nestlé, Swiss Re und viele andere. Das ist eine ausserordentliche Leistung, auf die wir zu Recht stolz sein dürfen. Wenn nach wie vor derart viel Geld in die Schweiz fliesst, hat das mit dem Vertrauen zu tun, das die Schweiz international geniesst.
Sie sprechen vom Banken-Bashing, was zeigt, dass der Schulterschluss zwischen Politik und Banken offenbar nicht gelingen will. Weshalb?
Die Banken haben es in den letzten Jahren verpasst, einen Dialog zu führen. Jetzt müssen die Banken Gegensteuer geben, denn ohne Politik und ohne die Akzeptanz in der Bevölkerung können wir den Finanzplatz nicht steuern.
Müssen sich die Exponenten der Banken stärker engagieren?
Meiner Meinung nach schon, und zwar persönlich und über den Verband. Die Banker müssen hin stehen und erklären, welche Bedeutung die Finanzhäuser für die Schweiz, die Volkswirtschaft und die Arbeitsplätze haben. Das braucht Zeit, ist wohl eine Generationenfrage, aber unumgänglich.
Weshalb hat man diesen Dialog vernachlässigt?
Zum einen war die Branche knapp zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise derart mit sich selber beschäftigt, dass sie schlicht nicht in der Lage war, einen Dialog zu führen oder aufzubauen. Das gesamte regulatorische Umfeld sowohl in der Schweiz als auch im Ausland veränderte das Finanzwesen von Grund auf. Zudem wurde das Bankgeheimnis zusehends begraben.
Ein Schock für das Swiss Banking.
Die durch das Bankgeheimnis garantierte Diskretion war Teil des Geschäftsmodells vieler Banken. Sie mussten sich nie erklären. Als der nationale und internationale Druck stieg, das Bankgeheimnis in Frage gestellt und der automatische Informationsaustausch zum globalen Standard wurde, waren die Banken auf diese Zeitenwende nicht vorbereitet. Sie wussten nicht, wie man reagieren sollte. Politik, Gesellschaft und Banken müssen heute wieder zusammenfinden.
Ist die Bereitschaft der Banken da? Kaum spricht man mit ihren Vertretern, fällt das Wort Überregulierung und die Politik wird kritisiert.
Zunächst ist die Regulierung ein Fakt. Wenn man sich für eine Laufbahn in der Finanzbranche entscheidet, ist die Regulierung ein fester Bestandteil der Arbeit. Die Banker dürfen zudem nicht vergessen, dass sie die verschiedenen Regulierungsprojekte mit diversen Verfehlungen auch mitverschuldet haben. Jetzt gehen wir Richtung Konsumentenschutz, der in Europa stärker entwickelt ist als in der Schweiz. Wir werden nicht darum herumkommen, uns den internationalen Standards anzupassen. Leider mit dem Nachteil, dass vor lauter Regulierung die unternehmerische Freiheit in der Branche eingeschränkt wird.
Regulierung unter dem Titel des Konsumentenschutzes lässt sich kaum verhindern.
Das ist in der Tat sehr schwierig zu bekämpfen, denn die politischen Sympathien liegen zuerst beim Kunden. Vielleicht merken die Konsumenten aber auch, dass die Regulierung auch für sie nicht nur Vorteile hat. Es ist mittlerweile eine grössere Aufgabe geworden, die Bank zu wechseln.
Welches sind neben Regulierung und Konsumentenschutz die weiteren Treiber der Finanzbranche?
Banken, Versicherer und Vermögensverwalter sollten in meinen Augen ein gemeinsames Wertesystem entwickeln, an das sie sich halten. Was verstehen die Finanzakteure genau unter Transparenz und wie halten sie diese gegenüber den Kunden und der Öffentlichkeit ein? Das könnte dem Finanzplatz punkto Glaubwürdigkeit und Vertrauen sicher helfen. Wichtig ist auch, dass der Finanzplatz Schweiz an seiner Internationalität festhält und Partnerschaften mit anderen Finanzplätzen sucht.
Was in der Vergangenheit nicht immer klappte.
Beim automatischen Informationsaustausch suchte beispielsweise Singapur nicht unbedingt die Nähe zur Schweiz. Dies aus Furcht, das könnte dem Stadtstaat in den Verhandlungen mit anderen Partnern, wie beispielsweise der OECD, schaden. Wir brauchen auch ein näheres und besseres Verhältnis zu Europa, denn wir haben im Dienstleistungsbereich kein Abkommen mit der EU.
Aus politischen Gründen.
Zuvor müssen einige Aufgaben gelöst werden: die Personenfreizügigkeit sowie die institutionellen Fragen. Aber der Dienstleistungssektor, der für die Schweiz immens wichtig ist, darf nicht vergessen werden.
Darüber spricht man schon seit Jahren. Getan hat sich nichts.
Das stimmt. Jetzt stehen in Europa andere Themen auf der Agenda und die Branche ist sich auch nicht in allen Punkten einig. Ich gehe davon aus, dass es fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis der Zugang der Dienstleister zu Europa vereinfacht wird.
Sie sprechen die Uneinigkeit der Branche an.
Vor zehn Jahren ging es an den Veranstaltungen der Bankiervereinigung primär darum, das Bankgeheimnis zu verteidigen. Das war der gemeinsame Nenner Die Sitzungen waren entsprechend kurz. Mittlerweile hat der Wind gedreht, es sind neue Kräfte entstanden wie die Inlandbanken. Diese haben Aufwind gekriegt, weil sie in der Krise zur Stabilität des Systems beigetragen haben. Es gab in dieser Zeit tatsächlich einige Zentrifugalkräfte in der Branche. Aber jetzt haben sich die Banken wieder stärker zusammengerauft und versuchen, gemeinsam mit der Politik in den Dialog zu treten.
Gespräch: Pascal Ihle und Andreas Hugi