Markus Beyrer, die Europäische Industrie ist im Kriechgang und es ist keine Trendwende absehbar. Warum?
Markus J. Beyrer: Wir haben in der EU verschiedene Faktoren, welche seit Jahren ein notwendiges Wachstum der Industrie behindern: Die zunehmende Steuerlast und die administrativen Belastungen der Firmen durch den Staat. Hinzu kommen die vor allem im Vergleich zu den USA und Japan zu hohen Energiepreise in der EU und – vielleicht ein überraschender Punkt – der Rückgang der Investitionen in unsere Breitbandinfrastruktur, der die notwendige Digitalisierung unserer Wirtschaft verlangsamt. Hier haben wir gegenüber anderen Regionen empfindlich an Boden verloren. Zudem gibt es ein Grundproblem, welches unsere Grundhaltung betrifft: Wir werden immer mehr zu einem risikovermeidenden Kontinent.
Der risikoscheue alte Kontinent, der träge geworden ist?
Ja, wir haben in Europa zu viel hemmendes Risikobewusstsein und zu wenig innovativen grenzüberschreitenden Wettbewerb. Wir sehen nur die Risiken und wollen alles regulieren. Es gibt da aber auch einen Silberstreifen am Horizont: Der Wettbewerbsfähigkeitsrat wird der EU-Kommission die Einführung eines sogenannten «innovation principle» nahelegen. Dieses richtungsweisende Konzept wird auch von Businesseurope intensiv unterstützt und vorangetrieben. Demnach soll die EU-Gesetzgebung in Zukunft daraufhin überprüft werden, welchen konkreten Einfluss sie auf Forschung und Innovationen hat. Damit sollen innovative Ideen proaktiv unterstützt werden, denn Europa braucht einen offenen Marktplatz der Ideen und Rahmenbedingungen, die es den Unternehmen gestatten, in alle Richtungen Lösungen zu entwickeln.
Was muss die EU tun, um das Wachstum in Europa wieder zu ermöglichen?
Vor allem braucht die EU eine neue und zukunftsweisende Governance. Der «Rat Wettbewerbsfähigkeit» der EU muss sich konsequent für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wachstums einsetzen und hier eine aktive Wächterrolle einnehmen. Ich erhoffe mir auch von der «Better Regulation Agenda» wichtige Inputs: Diese Vereinbarung zwischen Parlament, Rat und EU-Kommission soll dazu beitragen, dass politische Konzepte und Rechtsvorschriften von Anfang an so gestaltet werden, dass möglichst wenig Kosten für die Wirtschaft und die Gesellschaft anfallen.
Des Weiteren ist Freihandel für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen wichtiger denn je. Die derzeit verhandelten Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und auch – von der Wichtigkeit auf derselben Stufe – das Freihandelsabkommen mit Japan sind für die EU-Wirtschaft matchentscheidend.
Ein konkretes Thema, welches der Industrie unter den Nägeln brennt, sind die hohen Energiepreise. Die europäische Wirtschaft zählt bereits jetzt zu den effizientesten der Welt. Die Industrie in der EU hält die überaus ambitionierten CO2-Ziele ein und handelt sich damit höhere Energiepreise ein, derweil andere Regionen dieser Welt noch nicht so weit sind. Wir müssen aufpassen, dass wir die Industrie damit nicht aus Europa verjagen, nur weil wir die Saubersten sind. Es macht keinen Sinn, Arbeitsplätze ausserhalb Europas zu exportieren und gleichzeitig Emissionen von anderen Regionen zu importieren. Wir brauchen faire globale Rahmenbedingungen, die für alle gelten.
Sie haben die Digitalisierung der Industrie angesprochen…
Treiber der notwendigen Digitalisierung ist der Ausbau unseres Breitbandnetzes. Hier hinken wir dem Bedarf und anderen Regionen hinterher. Darüber hinaus hat die EU mit der neusten Datenschutzreform eine für die Wirtschaft schädliche Überregulierung und ein Sanktionensystem geschaffen, welche Investitionen verhindern, statt fördern.
Wie zuversichtlich schauen Sie als Direktor des europäischen Wirtschaftsdachverbandes in die Zukunft?
Trotz aller Herausforderungen bin ich zuversichtlich. Das System EU muss sich reformieren, da die Idee Europa nach wie vor richtig ist. Schauen Sie, wo immer wir in der Vergangenheit Probleme in der EU hatten, war es wegen zu wenig Europa, nicht wegen zu viel Europa.
Gespräch: Andreas Hugi